Berichte 2016

Spezialisten für das ganze Herz

Von der Therapie des Herzinfarkts über den Ersatz von Klappen bis zur Herztransplantation: Herzchirurgen und Kardiologen betreuen Patientinnen und Patienten im Herzzentrum in gemeinsamen Teams. Ihnen stehen modernste Technik und innovative Verfahren zur Verfügung.

Plötzlich auftretende, stechende oder drückende Schmerzen in der Brust können Anzeichen eines Herzinfarkts sein. Bei einem Infarkt sind Gefässe, die den Herzmuskel mit Blut versorgen, verstopft. Bekommt der Muskel keinen Sauerstoff mehr, stirbt er ab. Im schlimmsten Fall hört das Herz auf zu schlagen, der Patient stirbt. Ist ein kleineres Areal betroffen, wird das Muskel durch Narbengewebe ersetzt. Das schränkt die Pumpleistung des Herzens ein, was weitere Beschwerden verursachen kann, zum Beispiel schwere Herzrhythmusstörungen oder eine Herzinsuffizienz – das Endstadium aller Herzerkrankungen.

«Bei Verdacht auf einen Herzinfarkt, wo jede Minute zählt, kommen die Patientinnen und Patienten sofort auf die Brustschmerz-Überwachungseinheit», sagt Professor Christian Templin, Leiter der Akuten Kardiologie am Universitären Herzzentrum Zürich.

Auf der Chest Pain Unit, der schweizweit ersten zertifizierten derartigen Spezialstation mit aktuell fünf Betten, erfolgt umgehend eine erste Diagnose. «Lebensbedrohliche Erkrankungen wie Herzinfarkt, Aortendissektion oder Lungenembolie wollen wir schnellstmöglich bestätigen oder ausschliessen können», sagt Templin.

800 Herzinfarkte pro Jahr

Mit einem EKG und Blutuntersuchungen lässt sich schnell herausfinden, ob ein Herzinfarkt vorliegt. Falls ja, geht es direkt ins gegenüberliegende Katheterlabor. Über ein Gefäss in der Leiste oder in der Ellenbeuge schieben die Kardiologen einen Katheter vor, mit dem sie die Verstopfung zu lösen versuchen. Das Gefäss wird anschliessend aufgeweitet und häufig mit einer Stütze, einem sogenannten Stent, stabilisiert. «Das gelingt in 99 Prozent der Fälle», sagt Christian Templin. Die Überlebensrate sei hoch: «Heute sterben nur noch wenige Patienten unmittelbar am Herzinfarkt.» Studien belegen, dass dazu auch die Chest Pain Units mit der schnellen Möglichkeit zur Diagnose und Therapie beigetragen haben.

Im Lauf von 24 Stunden werden im Herzzentrum Zürich durchschnittlich zwei Herzinfarkte diagnostiziert und versorgt, insgesamt rund 800 pro Jahr. Die heutige Therapie des akuten Infarkts basiert auf der Erfindung von Dr. Andreas Grüntzig, der am UniversitätsSpital Zürich die Kathetertechnik entwickelt und vor rund 40 Jahren erstmals an einem herzinfarktgefährdeten Patienten durchgeführt hat. «Damit wurde die interventionelle Kardiologie geboren, was unsere Möglichkeiten zur Behandlung von Herzerkrankungen fundamental verändert hat», sagt Professor Frank Ruschitzka, seit Januar 2018 Direktor der Klinik für Kardiologie des universitären Herzzentrums Zürich.

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Wir können heute viele Patienten retten, die wir früher verloren hätten.
Prof. Francesco Maisano

Operation am schlagenden Herzen

Mit einem Kathetereingriff können die Kardiologen auch chronisch verengte Herzkranzgefässe erweitern. Gelingt das nicht, sind alle drei wichtigen Herzkranzgefässe erkrankt, oder liegen die Verengungen an kritischen Stellen, sind die Herzchirurgen gefordert. Indem sie einen Bypass legen, überbrücken sie die verengte Stelle und stellen die Blutversorgung des Herzmuskels wieder her. Acht bis zehn Bypassoperationen führen die Herzchirurgen wöchentlich im Herzzentrum Zürich durch – damit sind dies die häufigsten chirurgischen Eingriffe im Herzzentrum.

Für eine kombinierte Behandlung von Katheterintervention und Bypasschirurgie steht ein Hybrid-OP zur Verfügung. Dieser ist grösser als die anderen sieben Operationssäle und mit modernsten Geräten für Bildgebung und zusätzlich mit einer Herz-Lungen-Maschine ausgestattet, falls der Brustkorb geöffnet werden muss. Die meisten Bypassoperationen erfolgen jedoch minimalinvasiv über einen kleinen Schnitt im Brustkorb. Den Bypass legt der Chirurg dann am schlagenden Herzen.

Auch die Rekonstruktion oder der Ersatz von Herzklappen erfolgt heute meist minimalinvasiv oder kathetergestützt durch ein Operationsteam aus Chirurgen und Kardiologen. So zum Beispiel bei der Mitralklappeninsuffizienz, die auftritt, wenn die Mitralklappe nicht richtig schliesst. Die Herzklappe zwischen linkem Vorhof und linker Herzkammer kontrolliert den Fluss des mit Sauerstoff beladenen Bluts aus der Lunge. Schliesst die Klappe nicht richtig, fliesst Blut zurück in die Lunge. Das Herz muss dann viel mehr arbeiten, um den Körper mit ausreichend sauerstoffhaltigem Blut zu versorgen.

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Auch freudige Ereignisse wie eine Geburtstagsparty oder eine Hochzeit können eine Herzerkrankung hervorrufen, bei der die Pumpfunktion des Herzens lebensbedrohlich beeinträchtigt ist.
Prof. Christian Templin

Der Defekt verändert die Herzanatomie: «Mit der Zeit wird der linke Vorhof grösser, und es kommt zu Rhythmusstörungen. Verstärken sich die Beschwerden, können sich Gerinnsel bilden und einen Hirnschlag auslösen», sagt Herzchirurg Professor Francesco Maisano, Direktor der Klinik für Herz- und Gefässchirurgie und Leiter des Herzzentrums. Maisano gilt als Pionier der Herzklappenmedizin, der neue Klappen und neue Eingriffsmethoden entwickelt. In spezialisierten Weiterbildungsprogrammen trainieren Maisano und sein Team Kardiologen und Herzchirurgen aus der ganzen Welt.

Das Team entscheidet

Sowohl der Ersatz von Mitral- wie auch von Aortenklappen hat am UniversitätsSpital Zürich stark zugenommen. «Das liegt daran, dass die Patienten heute älter werden und Klappendefekte erst später im Leben auftreten», sagt Maisano. Seien früher viele dieser Patienten inoperabel gewesen, könne man sie heute meist mit minimalinvasiven Eingriffen behandeln. «Wir können heute viele Patienten retten, die wir früher verloren hätten.» Die Philosophie sei, «eine individuelle, einfache und sichere Behandlungsmethode für jede Patientin und jeden Patienten zu finden». Welches jeweils die beste Therapie ist, entscheidet ein auf die jeweilige Erkrankung spezialisiertes Team von Chirurgen und Kardiologen.

Insgesamt elf dieser Heart Teams gibt es inzwischen, insbesondere für die Behandlung der koronaren Herzerkrankung, der Herzinsuffizienz, der Herzklappen- und Aortenerkrankungen sowie für Rhythmusstörungen. Rund 350 Ärztinnen und Ärzte beschäftigt das Herzzentrum. Sie arbeiten in der Diagnostik oder der Bildgebung, nehmen Katheterinterventionen vor oder chirurgische Eingriffe. Weil viele Herzerkrankungen ambulant abgeklärt werden können, bietet das Herzzentrum ein breites Spektrum an Spezialsprechstunden an. Auch das Kinderherzzentrum kann Empfehlungen zu Diagnose und Therapie einholen. Mit dem Stadtspital Triemli gibt es ebenfalls eine enge Zusammenarbeit.

Komplexe kardiovaskuläre Patienten

Die Klinik für Kardiologie werde auch künftig «das gesamte Spektrum kardiovaskulärer Erkrankungen von den praxisnahen zu den hochspezialisierten Patienten in ihrem vollständigen chronologischen Verlauf» behandeln, sagt Frank Ruschitzka. Aber der klinische Ablauf werde «wegen der Komplexität und der Komorbidität der kardiologischen Patienten zunehmend aus Patientensicht definiert werden müssen». Das erfordere ein «Umdenken in der Organisation und die Ausrichtung auf ein interdisziplinäres Zentrum». Weil die Patienten immer älter werden und häufig nicht nur herzkrank, sondern mit vielen Nebenerkrankungen belastet sind, wird die Behandlung jedoch zunehmend vielschichtiger. «Dies gilt in besonderem Masse für unsere Patienten mit Herzinsuffizienz», so Ruschitzka. Mit mehr als 200’000 Patienten in der Schweiz ist die Herzinsuffizienz heute bereits die häufigste und wegen der Spitaleinweisungen auch kostenintensivste kardiologische Erkrankung.

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Die Behandlung kardiologischer Patienten wird immer komplexer.
Prof. Frank Ruschitzka

Spezialisten für Herzinsuffizienz

Begleitend zur Akkreditierung des neuen Fachgebiets Herzinsuffizienz wurde am Herzzentrum ein Weiterbildungskurs «Herzversagen» aufgebaut. «Der Kurs ist weltweit anerkannt und ermöglicht es jungen Kollegen, einen gemeinsam von unserer Universität und unserer europäischen Fachgesellschaft zertifizierten Abschluss als invasiver Herzinsuffizienzspezialist zu erwerben», sagt Ruschitzka. Im neuen Fachgebiet sei das Hybridkonzept eines invasiven Herzinsuffizienz-Kardiologen bereits verwirklicht, der neben der klassischen Diagnostik und Therapie der chronischen, akuten und terminalen Herzinsuffizienz neu auch invasiv im Herzkatheterlabor und in der Implantation und Optimierung neuer Device- und Schrittmachertherapien und vor allem auch in der multimodalen kardiovaskulären Bildgebung ausgebildet werde.

Für die Behandlung der Herzinsuffizienz gibt es viele verschiedene Optionen: Medikamente, Schrittmacher, perkutane Koronar- und Klappeninterventionen, mechanische Herzkreislaufunterstützungssysteme bis hin zum Kunstherz oder einem neuen Herz. Die Herztransplantation als ultimative Lösung bei einer schweren Herzerkrankung ist ein weiteres Spezialgebiet des Zürcher Herzzentrums, das auch hier auf fast 50 Jahre Erfahrung zurückblickt: Die erste Herztransplantation der Schweiz fand 1969 im Universitäts-Spital Zürich statt.

Die beste Behandlung

Das gemeinsame Herzzentrum der Kliniken für Kardiologie und Herzchirurgie ist auf einem guten Weg, finden Prof. Maisano und Prof. Ruschitzka.

Das Herzzentrum gibt es seit gut vier Jahren. Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Kardiologen und Herzchirurgen?

Ruschitzka: Vieles läuft schon sehr gut, zum Beispiel bei den Herzklappen und der Herzinsuffizienz. Nun geht es darum, dass wir alle Heart Teams zusammenbringen, damit ein gemeinsam geführtes und gelebtes Herzzentrum entsteht – das ist unsere Vision.

Maisano: Es ist ein Prozess, bis aus zwei Kliniken ein Zentrum wird und das auch für die Patienten spürbar ist.

Wo genau liegen die Schwierigkeiten?

Ruschitzka: Das muss man geschichtlich sehen. Die Herzchirurgie ist aus der Kardiologie entstanden – sie war die erste Subspezialisierung der Kardiologie. Wir werden diese Trennung überwinden, die Herzchirurgie kommt zurück nach Hause, zurück in die Kardiologie. Wir gewinnen nur, wenn wir zusammenarbeiten und unsere Patienten gemeinsam behandeln. Dabei ist es essenziell, dass wir das Herzzentrum wie auch die einzelnen Heart Teams gemeinsam führen. Francesco Maisano und ich wechseln uns deshalb künftig in der Leitung unseres neu gegründeten Herzzentrums im Zweijahresrhythmus ab.

Maisano: Ich sehe mich als Kardiologen, der Patienten mit kardiovaskulären Problemen behandelt. Meine Spezialität ist, dass ich operiere. Andere verstehen mehr von Medikamenten, von Bildgebung oder von Geräten wie Schrittmachern oder Defibrillatoren. Der Patient profitiert vom gemeinsamen Wissen.

Das setzen Sie im Herzzentrum ja bereits um, oder?

Maisano: Ja, schon. Wir haben eine Kultur für die gemeinsame Diagnose und Therapie entwickelt. Jetzt wollen wir uns auch für die Ausbildung engagieren, auch da müssen beide Spezialisierungen zusammenkommen.

Ruschitzka: Für unsere gemeinsame Vision eines real existierenden Zentrums für kardiovaskuläre Medizin am USZ müssen wir früh ansetzen, indem wir künftig unsere Kardiologen und Chirurgen gemeinsam ausbilden. Dann wird es einfacher, die Kulturen zusammen zu bringen.