Berichte 2016

Personalisierte Medizin zu entwickeln ist äusserst komplex

Interview mit Prof. Gabriela Senti, Direktorin Forschung und Lehre, USZ

Was hat Sie im letzten Jahr beschäftigt?

Wir befinden uns in der Medizin in einer Phase des Übergangs. Wir sind auf dem Weg, an den Spitälern die Grundlagen zur personalisierten Medizin oder Präzisionsmedizin zu schaffen. Das heisst, wir wollen den Patientinnen und Patienten Prävention, Diagnostik und Behandlung ermöglichen, die auf ihre individuellen Voraussetzungen und Bedingungen zugeschnitten sind und die so präzise sind, dass die Wirksamkeit wesentlich steigt. Dies ist nicht nur ambitiös, sondern auch sehr komplex, und es wird noch einige Jahre dauern, bis wir dieses Ziel erreicht haben.

Wo stehen wir heute auf diesem Weg?

In der Öffentlichkeit ist viel von Big Data, von Künstlicher Intelligenz oder Deep Learning in der Medizin die Rede. Es geht darum, dass wir enorm grosse Datenvolumen in hoher Geschwindigkeit mit grosser Rechnerkapazität nutzen können und dabei das Lernen automatisieren. Jede Behandlung hat ein Resultat, das wir für künftige Behandlungen nutzen können. So soll die Medizin nicht nur individueller, sondern auch wirksamer werden. Obwohl darüber viel geschrieben wird, befinden wir uns noch mehrheitlich in der Theorie. Anwendungen gibt es erst wenige. Am USZ sind wir beispielsweise daran, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem wir Bilder der Brustkrebsvorsorge (Mammografien) hinsichtlich des Brustkrebsrisikos automatisch interpretieren können. Weil der Computer bei jeder neuen Mammografie wieder dazulernt, wird dieses hoffentlich sehr bald zum neuen Standardverfahren für die Beurteilung von radiologischen Bildern. Aber, wie gesagt, wir sind noch weit weg vom routinemässigen Einsatz und von der Vernetzung aller Daten.

Wie kommen wir zur Praxis?

Wir müssen die nötigen Grundlagen erst noch erarbeiten. Big Data bedeutet nicht, dass es nur um die Menge der Daten geht. Ebenso wichtig ist die korrekte Aufbereitung der Daten, deren Qualität und der verantwortungsvolle Umgang mit ihnen. Das ist alles sehr komplex. Wir investieren derzeit viel in die IT-Infrastruktur, in Know-how, in die Qualität von Daten und in Kollaborationen mit den anderen Spitälern, mit der Universität und der ETH Zürich. So schaffen wir sogenannte Data Warehouses, in denen die Daten aus unterschiedlichen Quellen miteinander verknüpft werden. Dazu gehören die Daten aus den Patientenakten, aus dem Labor oder aus Biobanken. Wir bringen also unsere unterschiedlichen Datenbanken zusammen und machen sie so fit für die Forschung und die Entwicklung. Wir verfolgen aber auch neue Ansätze, um zu qualitativ hochstehenden Daten und Proben zu kommen. So testen wir neu in unserem Clinical Trial Center eine standardisierte Erfassung der Krankengeschichte eines Patienten und der dazugehörenden Probenentnahme.

Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit anderen Hochschulen und Spitälern?

Personalisierte Medizin zu entwickeln ist äusserst komplex. Niemand vermag dies alleine zu tun. Deshalb ist die Zusammenarbeit auf der Ebene der Forschung und Entwicklung entscheidend. Wir müssen die richtigen Fähigkeiten zusammenbringen und in einem kollaborativen Ansatz neue Erkenntnisse gewinnen. Damit das gelingt, müssen wir unsere Forschungsinfrastruktur gemeinsam nutzen, seien dies Patientendaten, Proben oder molekulare Daten. Das braucht Regeln, denn dieses Data Sharing muss fair und sicher erfolgen. In der Forschung geht es vor allem darum, dass die Personenrechte der Patienten geschützt sind und die Interessen der beteiligten Institutionen ausbalanciert sind. Das USZ engagiert sich mit anderen dafür, dass wir eine entsprechende Governance entwickeln und erproben können.

Welche Rolle spielen dabei Initiativen wie jene des Swiss Personalized Health Network (SPHN)?

Eine sehr grosse: Dank der Förderung durch den Bund können wir in der Schweiz in die dringend nötige Forschungsinfrastruktur für personalisierte Medizin investieren und diese anhand von konkreten Projekten erproben und weiterentwickeln. Das USZ ist an zahlreichen Projekten beim SPHN beteiligt und konnte damit einen bedeutenden Teil der Drittmittel akquirieren. Darauf sind wir stolz.

Initiativen wie das SPHN führen zu einer besseren Vernetzung in der biomedizinischen Forschung in der Schweiz. Zu diesem Zweck haben wir 2017 auch eine Allianz zwischen Zürcher und Basler Institutionen lanciert. Ziel der Personalized Health Allianz Zürich-Basel ist die Zusammenführung unserer komplementären lokalen Stärken in einen regionalen, wissenschaftlich exzellenten Forschungs-Hub. Eine enge Zusammenarbeit pflegen wir in diesem Zusammenhang vermehrt auch mit dem Tessin.

Sie betonen immer wieder, dass das USZ nicht nur in der Forschung tätig ist, sondern vor allem auch in der Entwicklung. Weshalb?

Letztlich geht es darum, dass wir Innovationen schneller unseren Patientinnen und Patienten zur Verfügung stellen können. Forschung ist traditionell das Feld der Hochschulen. Daran beteiligen wir uns sehr engagiert. Schliesslich ist es aber unser Auftrag, alles Mögliche zu tun, dass unsere Patientinnen und Patienten von den Forschungsresultaten profitieren können. Das geht über die Entwicklung. Zu diesem Zweck haben wir in der Direktion Forschung und Lehre auch eine Abteilung gegründet, die sich ganz gezielt um die Entwicklung von neuen Produkten und medizinischen Leistungen kümmert und diese mit professionellen Prozessen unterstützt.